Märchenvorstellung

 

In einer der letzten „Nichts-Proben" legte mir Hannah ein weißes Pappschild auf den Regietisch und grinste. Ich kümmerte mich nicht weiter drum und schob es etwas zur Seite. Ein Tisch voller Skripte, Notizen, Streichholzschachteln, blauer Gummibärenschlümpfe, einer Thermoskanne und zahlreicher funktionierender oder weniger funktionierender Schreibgeräte, nichts Bedeutsames, aber voller erwartungsvoller Hektik und kreativem Chaos.

Doch strahlte dieses Schild wie ein fremder Schatz aus diesem Wirrwarr heraus, als wollte es auf sich aufmerksam machen und den Weg weisen.

Während auf der Bühne geprobt wurde und alle Spieler sich mächtig ins Zeug legten, grinste es mich immer fortwährend an.

„Märchenvorstellung" stand da in großen schwarzen Lettern. Nicht mehr und nicht weniger. Ich musste lachen, denn das was sich da gerade auf der Bühne abspielte war alles andere als eine „Märchenvorstellung".

Nicht mehr weiter drüber nachgedacht, weiter im Theatertext, Premierenaufregung, kaum Zeit, Schild vergessen.

Letzten Montag tauchte es wieder aus dem Nichts auf und lag wie zufällig zwischen all dem Wichtigen und Unwichtigen, Inspirierenden und noch nicht Erledigten auf meinem Schreibtisch.

Dieses Schild stammte wohl noch aus der Kinozeit unseres Hauses. Zusammen mit den Schildern „Nachtvorstellung", „Jugendverbot" lag es wohl jetzt Jahrzehnte unbemerkt in einer Kiste.

Wie der standhafte Zinnsoldat hatte es sich aber immer wieder hoch gerappelt und war durch unser Haus gewandert, bis in den ersten Stock auf meinen Schreibtisch.

 

Und während ich vor dem Schild saß und über dessen Aufgaben im alten Schauburgkino nachdachte…

Während ich mir vorstellte, wie viele leuchtende Kinderaugen das Schild wohl schon gesehen hatten, wenn die kleinen Kaufbeurer sich eine Lichtspielkarte für „Rübezahl" kauften…

Während ich mir vorstellte, wie damals Generationen von Kaufbeurern vom Strahl der Taschenlampe in den Kinosaal geführt wurden um zu staunen, zu lachen und zu weinen…

…wird mir erst jetzt bewusst, wie sehr das alte Schauburg Kino und die heutige Kulturwerkstatt immer noch die gleiche Aufgabe für ihre Stadt erfüllen:

 

Staunen machen, immer wieder aufs Neue verwundern und verblüffen, verzaubern.

Wütend machen, nachdenklich machen, lachen machen…

In Geschichten und Erzählungen sich selbst finden. Sich immer wieder neue und alte Fragen stellen. Gemeinsam erleben – nicht einsam. Über den Tellerrand schaun und neue Welten entdecken…

 

Ich bin stolz darauf, das wird mir jetzt erst bewusst, dass wir hier in der Kulturwerkstatt eine ganz alte Tradition fortführen dürfen.

Mächtig und selbstbewusst haben hier schon über 1000 Kinder und Jugendliche zusammen mit unserem Team und Eltern und Freunden die Tradition des Geschichtenerzählens weiterentwickelt und lebendig gehalten.

Über 200 Theaterstücke haben wir schon gemeinsam inszeniert und gespielt.

Leuchtende Kinderaugen, nicht nur die gibt es nach wie vor in diesem Haus mehr als genug zu finden, als wäre jeden Tag in der Kulturwerkstatt Weihnachten.

 

Wenn Erwachsene und Kinder nach der Wanderung durch die „Mondnacht" verzaubert sind und gemeinsam strahlen…

Wenn Jugendliche zu fast 80 % Prozent eine Theatervorstellung besuchen…

Wenn nach 25 Jahren immer noch Eltern und Kinder sich für gemeinsame Ideen und Geschichten engagieren…

Wenn alle Schulvorstellungen bis auf dem letzten Sitz besetzt sind…

Wenn auch nach 25 Jahren alle Kulturwerkstattmitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer wieder neue Energien aufbringen um Visionen zu realisieren…

….. dann klingt das wie ein Märchen!

 

Stopp halt!

… dann klingt das wie ein Märchen!

„Märchenvorstellung". Vorstellung von Märchen.

Märchen sich vorstellen und dann wahr werden lassen, träumen, realisieren…

… Gemeinsam!

 

Euch und uns Allen

Viele neue gemeinsame Märchen, Träume und Ideen

Ich könnte es mir vorstellen!

Euer Thomas

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